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Frist für Eingang der Exposés: 10. November 2025
Schwerpunktredaktion: Joscha Abels, Hans-Jürgen Bieling, Tobias Haas, Philipp Köncke, Sandra Sieron, Jenny Simon
Die Beziehungen der globalen politischen Ökonomie, so die dominante Zeitdiagnose, befinden sich in einem anbrechenden »Zeitalter der Geoökonomie«. Der tiefgreifende Wandel in der globalen ökonomischen Konfiguration zeigt sich in einer Zuspitzung von zwischenstaatlicher Konkurrenz, Handelskriegen, Sanktionsregimen und Investitionskontrollen, einem Wettlauf um technologische Vorherrschaft und Versuchen einer Re-Territorialisierung strategischer Wertschöpfungsketten. Große Aufmerksamkeit wird dabei der Verschränkung sicherheitspolitischer Motive und ökonomischer Strategien geschenkt: Unter dem Vorzeichen der neuen Triade-Konkurrenz zwischen den USA, der EU und China nutzen Staaten und Unternehmen (geo-)ökonomische Instrumente, um ihre Interessen durchzusetzen und Konflikte auszutragen. Geostrategische Rivalitäten werden damit zunehmend ökonomisch vermittelt; gleichzeitig gewinnen Zielsetzungen wie eine nationalstaatlich gedachte ökonomische Souveränität an Bedeutung.
Die Debatte um eine neue Phase der Geoökonomie berührt damit Kernthemen der Kritischen Politischen Ökonomie: den Versuch, zeitdiagnostisch aktuelle Verschiebungen in der globalen Ökonomie zu fassen. Dem Begriff der Geoökonomie kann dabei gleichermaßen eine deskriptive, analytische oder auch strategische Bedeutung zukommen. Allerdings bleibt in der dominanten Debatte häufig unklar, was konkret unter Geoökonomie verstanden wird, wo die Unterschiede zu geopolitischen Fragen liegen und worin genau die Veränderungen in der als neu konstatierten Phase liegen.
Die aktuelle Konjunktur des Begriffs hat ihren Ursprung im Essay From Geopolitics to Geo-Economics (1990) des US-amerikanischen Militärberaters Edward Luttwak. Luttwak diagnostizierte nach dem Ende der Systemkonkurrenz und dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine historische Transformation: Während direkte militärische Auseinandersetzungen zwischen Großmächten unwahrscheinlich würden, trete die Logik des Handels (Geoökonomie) an die Stelle der Logik des Krieges (Geopolitik). Diese Lesart verbreitete sich seit den 1990er-Jahren in den Internationalen Beziehungen, der Politischen Ökonomie, aber auch in einflussreichen Thinktanks und außenpolitischen Kreisen. Jüngste Höhepunkte finden sich in der Debatte um den sich zuspitzenden technologischen und handelspolitischen USA-China-Konflikt, den wachsenden ökonomischen Nationalismus in Europa und die westlichen Sanktionen gegen Russland und den Iran. Dass der Begriff mittlerweile von einflussreichen Denkfabriken wie dem liberal-konservativen US-amerikanischen Atlantic Council, dem Council on Foreign Relations oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik als programmatischer Bezugspunkt institutionalisiert wurde, verweist auf seine politische Wirkmächtigkeit. Geoökonomie ist mittlerweile auch eine strategische Leitkategorie in den staatlichen Machtapparaten. Wie die Kriege in der Ukraine und im Mittleren Osten zeigen, ersetzt die Ausweitung geoökonomischer Konkurrenz keinesfalls geopolitische, militärische Konflikte. Der »Aufstieg der Geoökonomie« und der damit einhergehende wachsende ökonomische Nationalismus vollziehen sich parallel zur Ausweitung von Kriegen, Aufrüstung und (Re-)Militarisierung. Auch Auseinandersetzungen um die Ausrichtung von Märkten und die Kontrolle von Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerken sind kein grundsätzlich neues Phänomen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, auf welche empirischen Felder sich die Geoökonomisierung bezieht – und welche von ihr bislang ausgenommen sind.
Zugleich ist die Debatte um eine neue Geoökonomie von Beiträgen geprägt, die unter dem Einfluss der realistischen Schulen der Internationalen Beziehungen staatszentriert angelegt sind. Die kapitalistischen Staaten werden zumeist als »black boxes« behandelt und der politischen Klasse weitgehende Autonomie gegenüber ökonomischen und anderen Klasseninteressen zugeschrieben. Damit bleibt offen, welche Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen und verschiedenen Kapitalfraktionen sich in der Geoökonomie niederschlagen, welche Akteure die entsprechenden Politiken vorantreiben, wessen Interessen sie artikulieren, inwiefern sie Ausdruck veränderter Konkurrenzverhältnisse auf dem Weltmarkt sind, und inwiefern sie eine Neuformierung von Staat-Kapital-Verhältnissen signalisieren.
Schließlich werden Tendenzen, die mit dem Begriff der Geoökonomie gefasst werden, von einer Zuspitzung der ökologischen Krise überlagert. Die Klimakatastrophe, Konflikte um Wasser, die Erosion der biologischen Vielfalt und die Häufung von Pandemien sind interagierende, sich wechselseitig verstärkende ökologische Krisenphänomene, die die Konkurrenz um natürliche Ressourcen und Senken verschärfen und in einer unberechenbar-disruptiven Weise (etwa in Form der Unterbrechung von Lieferketten) auf die Geoökonomie einwirken. Für ein Verständnis letzterer ist deshalb die Berücksichtigung fundamentaler Veränderungen in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen essenziell.
Der »Aufstieg der Geoökonomie« wirft also aus der Perspektive der Kritischen Politischen Ökonomie und Ökologie grundlegende Fragen nach der Beschaffenheit der aktuellen Konjunktur des globalen Kapitalismus auf, die einer kritischen, historisch-materialistischen Fundierung bedürfen. Es gilt zu klären, welche strukturellen und materiellen Prozesse die Grundlage der Transformation bilden und worin diese konkret besteht. Konzeptionell stellt sich die Frage, welche Prozesse und Interessen der »Aufstieg der Geoökonomie« sichtbar macht und welche er verdeckt: Worin liegt der analytische Mehrwert, aber auch die Grenze des Konzepts?
Diesen Fragen widmet sich die PROKLA 223. Wir wünschen uns Beiträge insbesondere zu folgenden Themen:
Hinweise zur Einreichung
Aussagekräftige Exposés von ca. 2 Seiten mit einem klaren thematischen Fokus (These und geplante Gliederung des Artikels, evtl. Darlegung der Empirie und Literaturauswahl) senden Sie bitte bis zum 10.11.2025 an redaktion[at]prokla.de. Bei Fragen kontaktieren Sie gern die Redaktion der PROKLA.
Die fertigen Artikel sollen bis zum 9.2.2026 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politisch pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen.
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