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Frist für Exposés: 1. Juli 2024
Schwerpunktredaktion: Laura Boemke, Jakob Graf, Tine Haubner, Mike Laufenberg, Dorothea Schmidt
Ein Rekordhoch bei der Beschäftigung, allerorten Personal- und Fachkräftemangel, stark gesunkene Arbeitslosenquoten und ein politisch unbeirrtes Festhalten am Wachstumsimperativ haben in der Bundesrepublik in der jüngeren Vergangenheit darüber hinweggetäuscht, dass Armut und soziale Spaltung zunehmen. Das betrifft in unterschiedlichem Ausmaß die Länder des Globalen Nordens insgesamt, in denen ein boomender Niedriglohnsektor, selektive Migrationsregime, wachsende Abstiegsrisiken für die Arbeiter*innen und unteren Mittelklassen und eine wachsende Polarisierung zwischen »lovely« und »lousy jobs« die Arbeitsmärkte und die gesellschaftlichen Gruppen spalten. Entwicklungen einer wachsenden sozialräumlichen Ungleichheit verstärken diese Spaltungen, wenn boomenden Metropolregionen erhöhte Armutskonzentrationen in ländlichen Peripherien und innerstädtischen Armutsquartieren gegenüberstehen. Nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in den frühindustrialisierten Gesellschaften des Nordens münden jobless growth, Landnahmeprozesse und der ökonomische Strukturwandel in eine Zunahme von Bevölkerungsteilen, die – mit Marx gesprochen – eine relative oder gar absolute »Überschussbevölkerung« (surplus population) bilden, insofern sie nicht oder nur marginal in kapitalistische Akkumulationszyklen absorbiert werden.
Ausgehend von diesen Entwicklungen zielt das Schwerpunktheft auf eine kritische Überprüfung und Aktualisierung der Debatten über den Zusammenhang von ungleicher kapitalistischer Entwicklung und der Produktion von Überflüssigen – also solchen, die nicht mehr oder nur mehr äußerst prekär über die Arbeitsmärkte in die kapitalistische Wirtschaft integriert werden, und solchen, die niemals mittels Lohnarbeit am wirtschaftlichen Wachstum teilhatten. Während die marxistische Diskussion um Surplusbevölkerungen seit den 1960er-Jahren vor allem mit Bezug auf den Globalen Süden geführt wurde, weitet das Schwerpunktheft die Debatte auf Prozesse der »surplusification« in den Ländern des Globalen Nordens aus. In diesem Zusammenhang wollen wir auch an eine neue Konjunktur gesellschaftskritischer Analysen über die Produktion von Surplus-Bevölkerungen und Surplus-Proletariat anknüpfen, beispielsweise an aktuelle internationale Debatten um racial capitalism, Exklusion und Marginalisierung in der Weltwirtschaft sowie an heterodoxe marxistische Analysen zur globalen Fragmentierung und Hybridisierung von Arbeit, an die geografische Forschung zu ungleicher Entwicklung sowie an Debatten über die Rückkehr des sogenannten »Lumpenproletariats«.
Gleichzeitig soll dabei auch an die Diskussionen erinnert werden zu den »Überflüssigen« und zu Begriffen der »Entkopplung« und »Exklusion«, die in Deutschland ab Ende der 1990er-Jahre geführt wurden. Ein Fokus soll hierbei auf Formen der Pauperisierung – das heißt der durch Prozesse der Enteignung, Vertreibung, Exklusion oder des ökonomischen Strukturwandels verursachten Verarmung und Marginalisierung – von »überschüssigen« Gruppen liegen, denen in verschiedenen Kontexten nachgegangen werden kann: unter anderem im Zusammenhang mit Langzeiterwerbslosigkeit, Rassismus, Flucht und Migration, Enteignung, Sexarbeit, Niedriglohnarbeit, sozialräumlicher Ungleichheit, Armut als Folge von Behinderung, Krankheit und psychischen Leiden. Mit Blick auf unterschiedliche Entwicklungen, Phänomene und gesellschaftliche Gruppen der Gegenwart steht dabei auch der theoretische Erklärungsgehalt von Begriffen wie »Lumpenproletariat«, »Surplusbevölkerung« oder »Exklusion« zur Disposition.
In diesem Sinne wünschen wir uns Beiträge zu folgenden Fragen:
Die Redaktion lädt zur Einsendung von aussagekräftigen Exposés von 1-2 Seiten bis zum 1.7.2024 ein. Die fertigen Artikel sollen bis zum 14.10.2024 vorliegen und einen Umfang von 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literaturverzeichnis) nicht überschreiten; politische pointierte Einsprüche haben 15.000 bis 25.000 Zeichen. Siehe auch die Hinweise für PROKLA-Autor*innen. Zusendung bitte an: redaktion [at] prokla.de
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